Notizen aus der Provinz II / U-Bahnbau in der Collwitzer Heide

In der letzten Woche hatte ich an dieser Stelle vom tendenziellen Ende der so genannten Landflucht geschrieben. Ergänzend zu diesem Thema noch ein Zitat aus Spiegel Online vom 30.8.2016:

„Zum ersten Mal seit 20 Jahren ziehen mehr Deutsche aus den großen Metropolen weg als zu. Günstigere Miete, mehr Ruhe: Gründe für die Stadtflucht gibt es viele.“

Aber auch sonst gibt es interessante Vorgänge in der Provinz: Ganze Städte werden neu gebaut.

Kennen Sie den Ort Schnöggersburg? Nein? Dann sind Sie nicht allein, auch ich habe erst kürzlich von Schnöggersburg gehört.

Schnöggersburg ist eine ehemalige Dorf-und Forststelle in der Collbitz- Letzlinger Heide, ungefähr 20 km nördlich von Magdeburg. Irgendwann in den dreißiger Jahren wurde dann aus Schnöggersburg Schritt für Schritt einTruppenübungsplatz, welche auch zur Zeiten der DDR weiter genutzt wurde.

In den letzten Jahren war Schnöggersburg jedoch kaum mehr als eine verwilderte Brachlandschaft, die ursprünglich vorhandenen Gehöfte gibt es schon lange nicht mehr. Doch seit kurzem kommt richtig Bewegung in das ehemalige Dorf.

„Aufstandsbekämpfung im urbanen Raum teurer als geplant,“ so las ich mehr oder weniger zufällig im Online Magazin Telepolis am 30.8.2016. Es war von der Errichtung einer Übungsstadt der Bundeswehr in Schnöggersburg die Rede. Das Thema interessierte mich und ich googelte weiter im Netz.

„U-Bahnbau in der Heide,“ konnte man bereits auf der Internetseite von Deutschlandradio Kultur vom 17.2.2015 lesen. Bis 2020 soll mit Schnöggersburg Europas größte militärische Übungsstadt entstehen. Im Rahmen einer so genannten Publik- private -Partnership wird diese vom Rüstungskonzern Rheinmetall gebaut und später auch betrieben. Es soll, „eine urbane Übungslandschaft entstehen. Mit allem, was zu einer Großstadt gehört, beispielsweise wird hier in dieser sandige Steppe der Heide die einzige U-Bahn Sachsen-Anhalts gebaut, mit Auf-und Abgängen. Ganze Gleisanlagen entstehen, die ersten Röhren sind schon gebaut. Aber auch Autobahnausfahrten, Hochhaussiedlungen mit kompletter Kanalisation, Sakralbauten, ein Sportstadion Industrieanlagen, eine klassische Altstadt mit Basar, ein Friedhof, gar Elendsviertel und Müllkippen sollen angelegt werden. Eine Stadtattrappe wie man sie er aus Science-Fiction oder Horrorfilmen kennt.“ So berichtet Deutschlandradio Kultur in dem oben genannten Beitrag. Attrappe ist möglicherweise nicht das richtige Wort, man denkt zu schnell an Pappmaschee. Die Gebäude sind zwar unbewohnt, aber errichtet werden Sie exakt nach den Vorschriften der deutschen Bauordnung, was woanders zu lesen war. Und nun soll das Projekt Schnöggersburg noch teurer werden als die eingeplanten 100-120 Mio. Euro, wie Telepolis kritisiert.

Bei meiner Netz Recherche habe ich bemerkt, dass das Projekt Schnöggersburg durchaus medial beschrieben wurde, aber meist nur am Rande. So richtig breit diskutiert wurde Schnöggersburg in der Öffentlichkeit bislang jedoch nicht. So manch wichtige Entwicklungen oder Entscheidungen hier im Lande scheinen abzulaufen ohne besondere Wahrnehmung und plötzlich sind Fakten geschaffen, welche man im Nachhinein schwerlich rückgängig machen kann.

Offiziell soll in Schnöggersburg die Bundeswehr im Verbund mit anderen NATO Partnern für zukünftige Auslandseinsätze trainieren. Häuserkampf soll unter realistischen Bedingungen geprobt werden. Schaut man sich die schon jetzt im Netz existierenden Bilder dieser Übungsstadt genauer an, stellt sich mir die Frage, wo auf der Erde derartige komplexe Stadtstrukturen existieren, in denen die Bundeswehr befürchtet, zukünftig Einsätze zur Landesverteidigung durchführen zu müssen.

Afghanistan mit der Hauptstadt Kabul, oder auch der Bereich Kosovo, wo die deutsche Bundeswehr sei es nun legal oder illegal bereits größere Einsätze durchgeführt hat, lassen kaum Ähnlichkeiten mit Schnöggersburg zu.

Auch in anderen Zusammenhängen wird gerade jetzt viel über die Bundeswehr und ihrer Befugnisse diskutiert.

Es ist geplant, dass die die Polizei in vier Bundesländern Übungen zusammen mit der Bundeswehr durchgeführt. Der Tagespresse ist zu entnehmen, dass dieses Vorhaben rechtlich strittig ist.

Dem Grunde nach ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren in Art. 87 A des Grundgesetzes (ein Teil der so genannten Notstandsgesetze) geregelt. Sinngemäß erlaubt dieser Verfassungsartikel einen Bundeswehreinsatz im Inland nur dann, wenn der Bestand der Bundesrepublik als solcher gefährdet ist, oder im so genannten Spannungsabfall zum Schutz ziviler Objekte und der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer.

Doch es gibt auch noch den Art. 35 des Grundgesetzes. Dort geht es um Amtshilfe von staatlichen Behörden untereinander. Rechtlich einwandfrei war in jedem Falle die in der Vergangenheit gelegentlich wichtige Hilfe der Streitkräfte bei Katastrophenlagen. Manch einer erinnert sich noch an die Bilder, in welchen beispielsweise bei den großen Hochwassern und den großflächigen Überschwemmungen zu sehen war, wie Soldaten von Pioniereinheiten beim Deichbau oder sonstigen Rettungsmaßnahmen tätig geworden sind.

Aber jetzt geht es um etwas völlig anderes: „Es ist vorstellbar, dass wir komplizierte, über Tage andauernde, schwierige Terrorlagen bekommen. Und für diesen Fall sollten wir eine gemeinsame Übung durchführen.“ So erklärte Bundesinnenminister de Maizière gegenüber der Presse. De Maizière hatte dabei offenbar die Terroranschläge in Frankreich und Belgien in den letzten Monaten vor Augen. Ob der Art. 35 in solchen Situationen Bundeswehreinsätze erlaubt, bleibt strittig. Strittig ist ebenfalls, ob es überhaupt sinnvoll und erforderlich ist, in vergleichbaren Situationen Soldaten im Inland einzusetzen. Bei entsprechender Koordination sollte man die Möglichkeiten, welche die Polizei des Bundes und der Länder bereits jetzt hat , nicht unterschätzen.

Ich will nicht hoffen, dass es bei der ausufernden Debatte um die innere Sicherheit um mehr geht, als wir im Moment zu erahnen wagen. Und auch dieser denkwürdige Übungsplatz Schnöggersburg will mir nicht aus dem Kopf gehen.

Ein entspanntes, friedliches und hoffentlich auch sonniges Wochenende wünscht Ihnen

Herzlichst
ihre Jaqueline Hartmann

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