TTIP geleakt, die Zweifel werden größer

Nach dem üblichen Rundgang von Präsident Obama über die Hannover-Messe in der letzten Woche gab es gegen Abend ein Treffen des amerikanischen Präsidenten mit der deutschen Bundeskanzlerin, dem französischen Präsidenten Hollande, den britischen Premier Cameron und dem italienischen Ministerpräsidenten Renzi. Nach unterrichteten Kreisen soll das Hauptthema dieser Gesprächsrunde das schon seit langem geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU mit den USA gewesen sein.

Transatlantic Trade and Investment Partnership, der Öffentlichkeit besser bekannt unter der Abkürzung TTIP.

Die Meinungen über diesen transatlantischen Vertrag gehen weit auseinander.. Die Wirtschaft ist mehrheitlich dafür und auch in führenden Kreisen der Politik hatteTTIP überwiegend Befürworter. Wer könnte schon ernsthaft etwas gegen die Verbesserung und Vereinfachung der Handelsbeziehungen großer Wirtschaftsräume haben? Die Möglichkeiten auf entscheidende Erhöhungen des ökonomischen Wachstums diesseits und jenseits des Atlantiks werden gepriesen. Natürlich sind die üblichen Verdächtigen aus Kreisen des Umweltschutzes, linke Politiker oder Aktivisten wie beispielsweise Attac starker Kritiker von TTIP. Sie befürchten Einbußen im Bereich des Umweltschutzes oder aber weitere Beeinträchtigungen von Arbeitnehmerrechten. Merkwürdig erscheint dem unvoreingenommenen Betrachter die Tatsache, dass niemand so wirklich weiß, was exakt in dem schon vorliegenden Vertragsentwurf steht. Diejenigen, die es wissen, dürfen nicht darüber sprechen. Selbst Parlamentariern war es bislang lediglich gestattet, in speziell abgeschirmten Räumlichkeiten Einblick in die Vertragsentwürfe zu nehmen. Aufzeichnungen zu machen oder gar über die dort gesehenen Einzelheiten zu reden war und ist strengstens untersagt.

Aber soviel war dennoch bereits durchgesickert: Durch speziell einzurichtende Schiedsgerichte bzw. spezielle Handelsgerichte soll im Rahmen von TTIP die über staatliche Instanzen wie Parlamente oder Regierung legitimierte, reguläre staatliche Gerichtsbarkeit ausgeschaltet werden. Die Unternehmen möchten ihre Streitigkeiten in von ihnen festgelegten und besetzten Gremien ausfechten, es soll sogar Möglichkeiten geben, dass beispielsweise ein Unternehmen , welches in einem Land Investitionen getätigt hat und dann dort nationaler Parlamente die Rendite schmälernde Gesetze erlassen, der jeweilige Staat von dem betroffenen Unternehmen auf Schadenersatz verklagt werden kann. Man denke hier nur an die Erhöhung von Mindestlöhnen, Verkürzung von Arbeitszeiten für Arbeitnehmer und vieles andere mehr.

„Entscheidend wird sein, die Steuer zahlenden und von staatlichen Leistungen abhängigen Bürger anderer Staaten vor den eigenen Gewinn Karren spannen zu können. Dabei ist es völlig unerheblich, ob dies durch anwaltsgesteuerte Schiedsgerichte oder Handelsgerichsthöfe nach dem Modell „Gabriel“ geschehen soll,“ kritisierte der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und langjährige CDU Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer am 17.3.2016 auf der Internetseite von Cashkurs das geplante Abkommen. Wimmer Welt harte Worte, wenn er dort äußerte: „Mit TTIP soll das Werk von“ Shareholder Value“ zum krönenden Abschluss gebracht werden.“

Demgegenüber schrieb der Spiegel anlässlich des Obama Besuchs in Hannover:

„Die beiden größten TTIP Fans schwärmen von Ihrem Lieblingsprojekt als wäre es so populär wie Schokoladeneis. „Angela und ich sind uns einig, dass die USA und die EU bei TTIP vorankommen müssen,“ so Obama in Hannover. Aber in letzter Zeit sind die Vorbehalte gegen das Handelsabkommen größer geworden und das nicht nur in der Bundesrepublik.

„Hollande hat Angst vor dem Absturz,“ so der Spiegel am 27.4.2016. „Ähnlich wie in Deutschland ist TTIP bei vielen französischen Bürgern, Umweltverbänden und Globalisierungskritikern unbeliebt. Gegner rügen die undurchsichtigen Verhandlungen, warnen vor verwässerten sozialen Umweltnorm und entwerfen die Horror Version von Hormonsteaks und chlorgespültem Geflügel,“ so war im Spiegel zu lesen. Und nun vor wenigen Tagen der Super-Gau für alle Freunde des Wirtschaftsabkommens: Teile des Vertrages wurden geleakt und gelangten komplett an die Öffentlichkeit. Die Stimmung scheint zu kippen, wenn plötzlich gewichtige Organe der wirtschaftsnahen und USA-freundlichen Presse zu Bedenkenträger werden.

„Amerika macht Druck wie nie. Bisher tappten 800 Millionen Bürger im Dunkeln. Worüber Europa und Amerika beim umstrittenen Handelsabkommen TTIP genau verhandeln, blieb auf Wunsch der USA strikt geheim. Die Offenlegung von 240 Seiten Verhandlungspapieren zeigt nun Brisantes: So greifen die USA Europas Schutz der Verbraucher vor Genfood an. Auch wollen sie das Recht auf neue Gesetze zum Schutze der Bürger beschneiden und schlagen ganz neue Deals vor,“ schreibt die Süddeutsche Zeitung in ihrem Wirtschaftsteil vom 2. Mai 2016.

„Niemand braucht sie TTIP,“ kann man in der Zeit vom 6.5.2016 lesen. Der ausführliche Beitrag des Wochenmagazins kommt am Schluss zu dem Ergebnis „Das Motiv Investitionsschutz durch Schiedsgerichte mag in Ländern wie China, Russland oder Indien relevant sein – ist aber im europäischen Kontext nicht relevant und geradezu eine Beleidigung unserer demokratisch verfassten Staaten und unserer funktionierenden Gewaltenteilung.“

Ich glaube, erst jetzt wird es richtig interessant im Streit um TTIP. Die amtierende amerikanische Regierung will TTIP in jedem Falle durchsetzen. Möglichkeiten den Druck insbesondere auf die Bundesrepublik zu erhöhen gibt es genug. Die Höhe der Schadensersatzforderung gegen den VW-Konzern wegen des Abgasskandals ist noch lange nicht geklärt, auch gibt es Bankkonzerne deutschen Ursprungs, welche ihre Hauptaktivitäten in den USA entfalten. Regelverstöße gegen die kaum durchschaubare USGesetzgebung lassen sich immer finden, wenn man will.

Ein guten Start in die Woche wünscht Ihnen
Herzlichst

ihre Jaqueline Hartmann

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