Ein Ereignis, das die Branche erschüttert
In dieser Woche sorgte eine Meldung für großes Aufsehen in der Immobilienwelt: Razzia bei Engel & Völkers – wegen des Verdachts auf Scheinselbstständigkeit.
Für mich als erfahrene Maklerin mit über 18 Jahren in der Branche ein Anlass, das Thema auf meinem Kanal „Immobilientagebuch“ nicht nur zu kommentieren, sondern auch aus dem beruflichen Nähkästchen zu plaudern. Denn was hier passiert ist, betrifft nicht nur Engel & Völkers, sondern ein ganzes System in der Maklerwelt.
Was ist passiert?
Der Zoll durchsuchte deutschlandweit 18 Standorte von Engel & Völkers im Auftrag der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Im Fokus: Der Verdacht auf Scheinselbstständigkeit bei Immobilienmaklerinnen und -maklern. Über 300 Ermittler waren im Einsatz, um Unterlagen zu sichern und Mitarbeitende zu befragen.
Das Ziel der Ermittlungen: Klären, ob „freie Mitarbeiter“ in Wahrheit wie Angestellte behandelt wurden – ohne Sozialabgaben, ohne rechtmäßige Verträge.
Was bedeutet Scheinselbstständigkeit überhaupt?
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand offiziell als Selbstständiger geführt wird, faktisch aber wie ein Angestellter arbeitet:
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Feste Arbeitszeiten
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Weisungsgebundenheit
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Kein eigenes Unternehmerrisiko
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Nur ein Auftraggeber
Warum das für den Staat problematisch ist? Ganz einfach: Es fehlen Sozialversicherungsbeiträge, die bei Angestellten fällig wären – sowohl für Renten-, Kranken-, Pflege- als auch Arbeitslosenversicherung.
Engel & Völkers – Ein Franchisesystem unter Druck
Engel & Völkers ist kein klassisches Unternehmen, sondern ein Franchise-System: Selbstständige Unternehmer betreiben unter der Marke „Engel & Völkers“ eigene Büros. Diese stellen freie Mitarbeiter – sogenannte Immobilienberater – meist als Handelsvertreter ein.
Nach außen wirkt das wie ein großer Konzern, intern ist es jedoch hochgradig dezentral. Das Problem: Diese Form der Zusammenarbeit ist rechtlich riskant, wenn die scheinbar freien Makler faktisch angestellt sind.
Ein Blick hinter die Kulissen: So funktioniert das Modell
Viele junge Makler starten als „freie Mitarbeiter“. Sie arbeiten auf Provisionsbasis, erhalten keine festen Gehälter, zahlen ihre Steuern und Versicherungen selbst. Oft nutzen sie die Infrastruktur des Büros (Bürofläche, Telefon, Logo, Briefpapier) und sind ausschließlich für ein Büro tätig – genau das kann zur Scheinselbstständigkeit führen.
Ich selbst habe genauso angefangen – mit 26 Jahren, voller Motivation, aber ohne Berufserfahrung. Der Einstieg als freie Maklerin war für mich der logische Weg. Die ersten sechs Monate habe ich keinen Cent verdient, sondern nur gelernt.
Warum dieses Modell für viele Sinn machte – bisher
Der Vorteil für Maklerbüros:
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Kein Risiko
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Keine Lohnkosten
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Keine Sozialabgaben
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Nur Kosten, wenn wirklich Umsatz gemacht wird
Für die „freien Mitarbeiter“:
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Einstieg ohne Hürden
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Flexible Arbeitszeiten
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Möglichkeit, sich zu beweisen
Aber: Rechtlich wacklig – wie die Razzia nun zeigt.
Die Realität hinter der Freiheit
Oft ist die „Selbstständigkeit“ nur auf dem Papier gegeben. In Wahrheit arbeiten viele ausschließlich für ein Büro, sind an Öffnungszeiten gebunden, bekommen Aufträge zugewiesen – kurz: sie agieren wie klassische Angestellte, aber ohne den Schutz und die Sicherheit eines Arbeitsvertrages.
Das Finanzamt und der Zoll sehen darin einen klaren Missbrauch, um Lohnkosten zu sparen. Die Konsequenz für Maklerbüros: Rückwirkende Sozialversicherungsbeiträge, Bußgelder und schlimmstenfalls existenzielle Konsequenzen.
Was bedeutet das für die Branche?
Der Fall Engel & Völkers könnte ein Weckruf sein – für die gesamte Maklerszene. Das bisher gängige System der freien Mitarbeit wird juristisch angreifbar. Es ist zu erwarten, dass viele Büros umdenken müssen.
Eine Lösung:
Makler als festangestellte Mitarbeiter mit Grundgehalt und erfolgsabhängiger Provision. Einige Büros arbeiten bereits so – auch ich. Alle Mitarbeitenden bei Koch & Kollegen sind sozialversicherungspflichtig angestellt.
Persönliche Erfahrung: Warum ich vom freien Modell abgerückt bin
Ich hatte früher auch freie Mitarbeiter. Doch ich musste feststellen:
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Die Bindung ans Unternehmen war gering
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Manche bauten heimlich eigene Konkurrenz auf
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Ich trug das Risiko – ohne Einflussmöglichkeiten
Seitdem beschäftige ich nur noch festangestellte Kolleginnen und Kollegen – mit fairem Gehalt und leistungsabhängiger Vergütung. Besonders in der Hausverwaltung, wo es nicht um Vertrieb geht, ist das Modell ohnehin üblich.
Was kommt jetzt auf Engel & Völkers zu?
Die Ermittlungen laufen. Doch schon jetzt ist klar: Es wird teuer. Jeder Franchisenehmer ist selbst verantwortlich – und muss bei einem Verstoß nachzahlen, haften, reagieren.
Viele werden sich fragen: Lohnt sich das noch? Oder lieber verkleinern? Oder vollständig auf Festanstellung umstellen?
Fazit: Ein System im Wandel
Die Razzia bei Engel & Völkers ist kein Einzelfall, sondern ein Symptom eines überholten Beschäftigungsmodells in der Immobilienbranche. Wer langfristig bestehen will, braucht:
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Rechtssichere Beschäftigungsmodelle
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Faire Arbeitsbedingungen
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Klare Strukturen
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Und: Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen
Meine Botschaft an junge Makler:innen
Ja, es ist schwer. Ja, die Branche ist hart. Aber mit Ehrlichkeit, Lernbereitschaft und Ausdauer kann man auch heute noch als Makler:in erfolgreich sein – und dabei rechtlich sauber arbeiten.
Danke fürs Lesen & Zuschauen!
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